Aufklärung bei Anwendung einer Neulandmethode

Gemäß § 630e BGB ist der Behandelnde verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.

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Neben dieser Risikoaufklärung hat auch eine Alternativaufklärung zu erfolgen. Mit dieser ist auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

Die Aufklärung muss zum einen mündlich und zum anderen durch den Behandelnden selbst oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt. Lediglich ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält.

Darüber hinaus muss die Aufklärung nicht nur für den Patienten verständlich sein, sondern auch so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann.

 

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Bei einer noch nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode sind zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erhöhte Anforderungen an dessen Aufklärung zu stellen. Dem Patienten müssen nicht nur das Für und Wider dieser Methode erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht oder noch nicht medizinischer Standard ist. Eine Neulandmethode darf nur dann am Patienten angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt (BGH, Urteil vom 18.05.2021, VI ZR 401/19).

 

In dem entschiedenen Fall war dem Patienten eine Bandscheibenendoprothese implantiert worden, ohne dass dieser zuvor über die Tatsache aufgeklärt worden war, dass das im Gegensatz zu den herkömmlichen Implantaten verwendete Implantat ausschließlich aus Kunststoff (ohne äußeren Titanmantel) bestand und klinisch noch nicht hinreichend erprobt war. Der Patient war weder darauf hingewiesen worden, dass die geplante Implantation der Kunststoffendoprothese noch nicht medizinischer Standard war, noch darauf, dass sie die Möglichkeit unbekannter Risiken mit sich brachte.

 

Bei der streitgegenständlichen Implantation einer Kunststoffendoprothese handelte es sich  um eine noch nicht etablierte Neulandmethode, sodass der Patient darüber hätte aufgeklärt werden müssen, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen sind. Das aufklärungspflichtige Risiko hatte sich im Anschluss auch verwirklicht, da sich Teile des Prothesenkerns gelöst hatten, in den Spinalkanal gewandert waren und dort auf die Wurzel S1 drückten, sodass die Prothese wieder entfernt und durch einen Cage ersetzt werden musste.

 

Eine Neulandmethode und somit eine vom fachlichen Standard abweichende Methode kann aufgrund des geltenden Grundsatzes der Therapiefreiheit folglich generell angewendet werden. Ihre Anwendung stellt an sich keinen Behandlungsfehler dar, erfordert allerdings die skizzierte erweiterte Aufklärung des Patienten, damit dieser im Wissen um die unbekannten Risiken wirksam in die Behandlung bzw. die Anwendung der neuen Methode einwilligen kann.

 

Der Arzt ist insoweit allerdings nicht verpflichtet, Vermutungen oder Spekulationen zu äußern, die den Patienten eher beunruhigen und verwirren könnten. Er muss jedoch unmissverständlich darauf hinweisen, dass unbekannte Risiken gegeben sind, sodass der Patient in die Lage versetzt wird, sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.

 

Auch an das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung, welche unterstellt, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte, sind bei einer Neulandmethode erhöhte Anforderungen zu stellen, um einer Entwertung der Patientenautonomie entgegenzuwirken.

 

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=9243b1af8f3774119e89e14ce8f0a0d8&nr=119137&pos=0&anz=1  

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