Aufklärungspflicht über mögliche Behinderung eines ungeborenen Kindes

Das OLG Karlsruhe hat nunmehr entschieden, dass die Eltern eines behinderten Kindes einen Anspruch gegen den Behandler bzw. das behandelnde Krankenhaus auf Schadenersatz haben können, wenn sie zuvor nicht auf das Risiko einer schweren Behinderung des ungeborenen Kindes hingewiesen worden sind (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 19.02.2020, 7 U 139/16). Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist allerdings, dass die Mutter die Schwangerschaft bei ordnungsgemäßer Aufklärung über den Zustand des ungeborenen Kindes auch tatsächlich abgebrochen hätte und dies gemäß § 218a StGB auch gerechtfertigt gewesen wäre.

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Vorliegend konnte dieser Nachweis von der Mutter bzw. der Klägerin geführt werden, da diese bereits zuvor eine Schwangerschaft abgebrochen hatte, nachdem im Rahmen einer pränatalen Diagnostik festgestellt worden war, dass das ungeborene Kind unter einem Turner-Syndrom (Monosomie X) litt.

Im streitgegenständlichen Fall litt das ungeborene Kind unter einer sogenannten Balkenagenesie. Dabei handelt es sich um ein Fehlen des Balkens zwischen den beiden Gehirnhälften. Dennoch kommen die meisten dieser Kinder gesund zur Welt. „Lediglich“ in 12% der diagnostizierten Fälle kommt es zu schweren Behinderungen. Auf dieses Risiko waren die Eltern von den behandelnden Ärzten im vorliegenden Fall nicht hingewiesen worden. Bei dem Kind der Kläger hat sich jedoch das Risiko verwirklicht. Dieses leidet seit seiner Geburt an schweren körperlichen und geistigen Behinderungen.

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Das Gericht hat entschieden, dass die Ärzte nach dem Behandlungsvertrag verpflichtet waren, die Klägerin auf das Risiko einer schweren Behinderung hinzuweisen, da die Eltern sich mit dem erkennbaren Ziel in die Behandlung begeben haben, möglichst frühzeitig über solche möglichen Schädigungen informiert zu werden. Zwar hätten die behandelnden Ärzte der Klägerin empfehlen können, die Schwangerschaft nicht abzubrechen, da das Risiko einer schweren Fehlbildung zwar bestehe, in der überwiegenden Zahl der Fälle die Kinder aber gesund zur Welt kämen. Die Information über das Risiko einer schweren Behinderung durfte den Eltern jedoch nicht vorenthalten werden. Die Eltern wurden im Arztgespräch jedoch ausschließlich auf mögliche Verzögerungen in der Entwicklung, aber nicht über das Risiko schwerer Schädigungen aufgeklärt. 

Der Senat hat der Mutter im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen, schwerwiegenden psychischen Folgen, die durch einen psychiatrischen Sachverständigen festgestellt wurden, ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,– € zugesprochen. Ferner wurde den Eltern Schadensersatz wegen der gegenüber einem gesunden Kind entstehenden vermehrten Unterhaltsleistungen und des vermehrten Pflegeaufwandes zugesprochen. Dabei wurde insbesondere berücksichtigt, dass das Kind unter einer Fehlbildung der Augen leidet, nicht laufen, krabbeln, sprechen und greifen kann, der Schluckreflex schwer gestört ist und eine starke, therapieresistente Epilepsie eine erhöhte Fürsorge und dauernde Rufbereitschaft erfordert.

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